Hintergrund und Geschichte

Ilse Middendorf
Die ausgebildete Gymnastiklehrerin, Frau Professorin Ilse Middendorf, (1910–2009) Berlin, war sportlichen Techniken und gymnastischen Übungen immer gerne zugetan und doch suchte sie nach einer Methode, welche den Menschen in seinen ganzheitlichen Möglichkeiten, in seinem ganzen Sein, in seiner ganzen Tiefe und Weite erfassen und bewegen konnte. Dazu bediente sie sich der Atemarbeit, die sie sehr faszinierte, wobei sie sich mit der ausschließlich willentlich ausgerichteten Art und Weise nie ganz anfreunden konnte. Schließlich entwickelte sie ihre eigene Lehre, in deren Mittelpunkt der Grundsatz steht, den Atem in aufmerksamer Anwesenheit ins Bewusstsein kommen zu lassen, ihn aber nicht willentlich zu beeinflussen, sondern zuzulassen.
Es entstand der einfache Grundsatz:
- den Atem von selbst kommen lassen
- den Atem von selbst gehen lassen
- zu warten bis der neue Einatem von selbst wieder kommt
Auf diesem Grundsatz baute sie ihre Lehre in Atembehandlung und Gruppenarbeit auf. Ihre, aus den Bedürfnissen des modernen, westlichen Menschen gewachsene Arbeit hat sie auch entdecken lassen, dass der Mensch mittels Atmung, Sammlung und Empfindung den eigenen Atem erfahren kann. Die große Wirkung dieser Atemarbeit auf die gesamte Persönlichkeit und Entwicklung eines Menschen wurde dadurch deutlich. Schließlich gab sie ihrer ganz speziellen Art und Weise, mit dem Atem zu arbeiten, den Namen: Der Erfahrbare Atem. Sie hat in den 60er Jahren ihr erstes Ausbildungsinstitut in Berlin gegründet. Mittlerweile gibt es international mehrere Schulen für diese Arbeit.
In den 80er Jahren hat sich der Erfahrbare Atem in Nordamerika unter dem Namen breathexperience ausgebreitet. 1989 wurde das erste Breathexperience-Ausbildungsinstitut in San Francisco gegründet. Das Ausbildungsinstitut Breathexperience Berlin wurde 2011 gegründet.
Atem
Atman – Altindisches Wort für Atem, Seele, Lebenshauch, Weltseele.
Odem – Mitteldeutsches Wort für Atem, Hauch, Geist.
Spiritus – Lateinisches Wort für Atem, Lufthauch, Lebensluft, Seele.
Pneuma – Griechisches Wort für Atem, Hauch, Wind, Geist.
Ruach – Hebräisches Wort für Atem, der göttliche Hauch, Geist, Wind.
Bei allen Völkern aus der Vergangenheit und der Gegenwart finden sich Hinweise und Lehren für die Heilkraft des Atems. In China war die Kunst, Krankheitszustände mittels Atemanwendungen zu behandeln, noch vor der Akupunktur bekannt. In Tibet und Indien führen Yoga-Techniken und meditative Praktiken auf Atemübungen zurück, die der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Im inneren der ägyptischen Pyramiden und im alten Testament finden sich ebenfalls bereits atemtherapeutische Ratschläge.
In der heutigen westlichen Welt werden laufend Studien verfasst über die Wirkung des Atems. Z. B. hat man herausgefunden, dass bei vertiefter Atmung körpereigenes Endorphin ausgeschüttet wird. Das Osher-Institut in San Francisco hat wissenschaftliche Studien unter der Leitung von Prof. Dr. med. Wolf E. Mehling zur Wirkungsweise des Erfahrbaren Atems durchgeführt. Ebenso wird wissenschaftlich untersucht, was in der Meditation und in Achtsamkeitsübungen geschieht bzw. sich verändert.
Die Chinesen bezeichneten den Atem als königlichen Weg des Heilens. Die Hebräer sehen den Atem als Hauch Gottes an. Gandhis Vorname Mahatma heißt nicht nur große Seele, sondern auch großer Atem. Atem ist Leben – er umfasst uns als Ganzes – leiblich und seelisch. Ohne Nahrung können wir einige Wochen überleben, ohne Wasser ca. 3 Tage, ohne Atem aber nur ganz wenige Minuten. Atem ist unser ständiger Begleiter, er gibt uns den Lebensrhythmus an. Der Erfahrbare Atem wird mein eigener innerer Lehrer.
Der Erfahrbare Atem
Der Erfahrbare Atem ist eine der führenden Atemarbeiten der heutigen Zeit, die auf dem zugelassenen, nicht vom Willen beeinflussten Atem basiert. Durch das Empfinden der Atembewegung in unserem Leib erforschen, finden und erfahren wir die Gesetzmäßigkeiten des zugelassenen Atems. Dabei ist unsere Anwesenheit und Teilnahme in diesem Prozess wesentlich.
Atem ist ein physiologischer Vorgang, er ist körperlicher Zustand, seelischer Ausdruck und ein geistiger Vorgang. Wir erfahren in der Atembewegung die Brücke zwischen Körper, Geist und Seele.
Das bewusste Empfinden der Atembewegung macht den eignen Atem erfahrbar und erlebbar. Mit Sammlung, Empfindung und Zulassen des Atems schult der Erfahrbare Atem die körperliche Empfindungsfähigkeit sowie die seelisch-geistige Sensibilität. In der Folge entwickelt sich das Atemgeschehen entsprechend seinen natürlichen und ursprünglichen Gesetzmäßigkeiten.
Daraus entsteht ein verstärktes Wohlbefinden, das die körperlichen, seelischen und geistigen Kräfte umfasst, diese bereichert und erweitert. Durch Übung der Sammlung auf das »hier und jetzt« wächst die Anwesenheit. Das bewusste »Da-sein« fördert die unmittelbare Selbsterfahrung.
Der Erfahrbare Atem bietet die Möglichkeit, sich mit den eigenen inneren intelligenten Ressourcen zu verbinden. Dabei aktiviert der Atem alle gesunden Kräfte im Ganzen. Atembewegung stellt wieder die Verbindung her zwischen dem Gesunden und dem, was aus dem Gleichgewicht geraten ist. Es entsteht ein Zustand, der dem Konflikt ermöglicht, sich wieder in das Ganze zu integrieren. Heilungsprozesse finden statt. Die Erfahrung mit dem zugelassenen Atem bringen Gleichgewicht und eine Empfindung von Wohlbefinden in alle Ebenen des Lebens.
Durch den Erfahrbaren Atem wird ein Wissen in den Zellen von Gesundheit und Einheit in uns zugänglich und umgesetzt. Die Teile in uns, die die Verbindung zu diesem Wissen verloren haben, sei dies durch Verletzungen, Traumata, unbewusste Verhaltensmuster oder einfach fehlende Bewusstheit können durch den Erfahrbaren Atem wieder an diese intelligenten Kräfte angeschlossen werden.
Der Erfahrbare Atem unterstützt den natürlichen Heilungsprozess. Er erkennt und akzeptiert Ursprung und Quelle von Heilung und fördert deren Entwicklung ins Ganze des Menschen. Das Bewusstwerden der Empfindung der Atembewegung im Leib ist die Grundlage der Entwicklung im Erfahrbaren Atem.

Aus den interaktiven Erfahrungen der folgenden Zustände:
- das sich-Tragen-lassen,
- das Zulassen des Atems,
- die Empfindung der Atembewegung im Körper,
entwickeln sich u. a.:
- der Zugang zu den eigenen vitalen Kräften,
- Bewegungslust / Stärken der eigenen Beweglichkeit,
- Lösen von Stress und Konfliktsituationen,
- Klarheit, Echtheit und Kongruenz in Beziehung und Kommunikation mit sich und anderen,
- Wohlgefühl durch verstärktes Atem- und Leibbewusstsein im Ganzen,
- Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein,
- Erkennen und Fortführen von Prozessen, die Gleichgewicht bringen.